Ein Mittel gegen das Verstummen - A Remedy Against Falling Silent

Thamiam, Thamiam Kirchhofer, copyright, AincaArt, Ainca Kira, Foto und Text, Writer, Photographer, Photography, Bernese Oberland, Berner Oberland, Thunersee, Lake Thun,

Als ich gestern der Ärztin erzählte, es stimme mich unzufrieden bis unglücklich, dass ich vor lauter Schrecken immer wieder verstumme und mein literarisches Schreiben zu kurz komme, meinte sie, wie es denn wäre, wenn ich mir vornähme, jeden Tag einfach nur fünf Minuten zu schreiben. Und es dabei bewenden lassen würde, z.B. nur ein Blümchen zu beschreiben.

 

So einfach.

13:06 Eine Frau wünscht sich heute  auf SRF2 das Adagio aus dem Klarinettenkonzert von Mozart und, zack, sehe ich mich zurückversetzt in das Haus in der Nähe der Pruntrutermatte, in dem wir ab 1996 zwei Wohnungen übereinander gemietet hatten, damit Thamiam beide Mütter bei sich hatte. Wie er rückwärts die Treppe vom vierten in den dritten Stock herunterkletterte und bei mir das Adagio hören wollte. Und sofort kommt die ganze Trauer, das ganze Weh hoch, spüre ich seinen kleinen, weichen, entspannten Körper, wie er an mich lehnt, während wir auf dem Sofa sitzen und diese Musik hören.

Hinterher waren im Radio heute auch noch Sol Gabetta und Daniel Hope zu hören. Beides Musiker*innen, die ich ihm nahe bringen konnte und die er sehr schätzte. Vor allem Daniel Hope mit Einspielungen von Einaudi.

Gordevio 1997

Und im nächsten Moment sehe ich das käsig-bleiche Gesicht desjenigen Verbrechers vor mir, der ihm ein paar Wochen, ein paar Monate später sexualisierte Gewalt antat. Und erinnere gleichzeitig, wie der dreiste Verbrecher tatsächlich die Chuzpe hatte, am 8. Mai 2017 bei der Abschiedszeremonie aufzukreuzen. Es tut weh.

Wie kann er nur. Sowohl das eine wie das andere. Und nun wünsche ich diesem Kriminellen, dass er doppelt und dreifach einstecken muss, was er anderen antut. Und dass die Menschen immer schneller erkennen, wer er wirklich ist und was er wirklich tut.

Februar bis April 1998

Yesterday, when I told the doctor that I was dissatisfied and sometimes unhappy, because horror can silence me and my literary writing make to go too short, she said, how it would be, if I gave myself just five minutes each day to write. For example to describe only a flower.

As simple as that.

13:06 A woman on SRF2 wishes to hear the Adagio from the Clarinet Concerto by Mozart and, immediately, I see myself transported back to the house near the Pruntrutermatte, where we had rented two apartments from 1996 onwards, so that Thamiam had both mothers near. How he climbed backwards the stairs down from the fourth to the third floor and wanted to hear this Adagio with me. And immediately all the grief comes, all the woe up, I feel his small, soft, relaxed body as he leans against me while we sit on the sofa and hear that music.

(Afterwards, the radio also featured Sol Gabetta and Daniel Hope. Both musicians, whom I could bring him close to and whom he prized very much, especially Daniel Hope, performing Einaudi.)

And the next moment in my mind, I see in front of me the cheesy-pale face of the criminal, who a few weeks later, a few months later did sexual violence to this small, delicate and graceful being. And I remember, at the same time, how the brazen criminal actually had the chutzpah to show up at the farewell ceremony for Thamiam on May 8, 2017. It hurts.

How can he do this? Both, one and the other.

And I wish this criminal now, that he has to take back double and triple, what he does to others. And that people are always quicker to see who he really is and what he really does.